BIKE Afrika 2013 / 2014
3. Expeditionsbericht: Das Ruwenzori Gebirge und die letzten Gletscher der Mondberge
Es war eine weise Entscheidung, die Strecke nach Kisumu im Bus zurückzulegen. Zum einen habe ich mir so den gefährlichen Verkehr auf dem Highway erspart und zum anderen bin ich nach Afrika gekommen, um etwas zu sehen und nicht um im Abgasmief von Lkws zu ersticken. Ehe ich mich aber versehe, sitze ich schon wieder auf meinem treuen Drahtesel und überquere so bei Busia die Grenze von Kenia nach Uganda, in das Land mit der höchsten Bergkette Afrikas. Das Ruwenzori Gebirge - die legendären Mondberge - sind meine letzte große Herausforderung und schon seit vielen Jahren, als ich in einem Buch von Heinrich Harrer von ihnen gelesen habe, träume ich von dieser Besteigung. Zwischen mir und dieser unvergleichlich schönen, grünen Bergwelt, mit klaren Bächen und einzigartigen Pflanzen sowie der außergewöhnlichen Tierwelt, liegen jedoch 800 km Radstrecke, welche es erst einmal zu bewältigen gilt. In meiner Heimat Deutschland ist bei relativ angenehmen Temperaturen eine solche Strecke schnell gemeistert, doch hier in Afrika am Äquator, welchem ich nach Westen folge, kann es jetzt in dieser heißen Zeit des Jahres zur Herausforderung werden, das hügelige Uganda zu durchqueren. In meinem speziellen Fall habe ich nicht nur mit einem Fahrrad zu kämpfen, sondern auch noch mit meinem Anhänger, in dem sich so nutzlose Dinge wie Eisaxt, Steigeisen, Klettergurt und -schuhe befinden, welche gerade deplatziert wirken, aber bald ihren Zweck erfüllen müssen.
Heute ist Silvester und da ich nicht irgendwo in der Pampa das neue Jahr beginnen möchte, entscheide ich mich in einem Gewaltakt 150 km bis nach Jinja zu fahren, um an der Quelle des Weißen Nil einen Tag Pause einzulegen. Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang sitze ich im Sattel und werde nach einem harten Tag Arbeit und vielen Litern Schweiß am Silvesterabend mit einem einmaligen Froschkonzert an einem der Entstehungspunkte des Nil entlohnt. Vom Victoria See, einem der größten Gewässer unserer Erde, begibt sich der Nil auf eine 6.800 km lange Reise bis sich dieser lebenswichtige Strom ins Mittelmeer ergießt. Das Wasser was hier auf eine lange Reise geht braucht dafür 3 Monate und formte so in unzähligen Jahrtausenden den längsten Fluss der Erde. Mit seinen vielen anderen Ursprüngen, dazu gehört übrigens auch der Blaue Nil aus den Ruwenzori Bergen, durchfließt er Burundi, Ruanda, Tansania, Uganda, Süd und Nord Sudan, um dann am Ende Ägypten zu durchqueren.
Während ich meine Reise über Kampala der Hauptstadt Ugandas fortsetze, denke ich noch oft daran, was wohl das Wasser des Nil auf seinem weiten Weg zu sehen bekommt. Ich denke an die Geschichten von Rüdiger Nehberg, der vor vielen Jahren während einer Reise auf diesem Fluss durch einen Überfall seinen Freund verlor. Er wurde kaltblütig erschossen und nur mit Not konnte sich Rüdiger damals retten. Ich vertreibe mir die einsamen Stunden auf dem Rad mit Gedanken an einen erneuten Versuch dieser Lebensader zu folgen, doch nur mit Unterstützung und nach gründlichen Recherchen.
Unter den freundlichen, teilweise aber auch aufdringlichen Zurufen der Einheimischen, welche mich Tag ein Tag aus mit "Musungu" begrüßen, was nicht mehr als "weißer Mann" heißt, schwindet die Radstrecke zur Bedeutungslosigkeit. Bis ich nur noch wenige Kilometer bergauf fahre, um bei Kilembe das Rad einzuschließen und all die nutzlosen Dinge, welche ich viele Kilometer mitgeschleppt habe erneut in Aktion treten. Ich bin am Fuße des Ruwenzori Gebirges angekommen und aus dem heißen Dunst des 1.200 m hohen Flachlandes erheben sich die ersten 3.000 m hohen Berge wie eine Fata Morgana, um noch höhere sogar vergletscherte Giganten anzukündigen. Hier am Startpunkt des legendären Kilembe Trecks sind die Hänge des Ruwenzori Massivs noch terrassenartig mit Mais und Kaffee bewirtschaftet, doch einmal den Eingang des riesigen Nationalparks hinter mir gelassen, befinde ich mich genau dort wo ich schon seit vielen Jahren sein wollte, in einer Märchenwelt die Ihresgleichen sucht. Das Gebirge und somit die größte Bergkette Afrikas ist zwar im Vergleich zum riesigen Himalaja mit 100 km Länge und 50 km Breite winzig klein, will aber erst einmal durchlaufen sein. Da sich der Mount Stanley und dessen höchste Erhebung der Margherita Gipfel mit 5.109 m und somit die dritthöchste Erhebung Afrikas genau auf der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo befindet, liegt ein weiter Weg vor mir. Diese Strecke nehme ich aber gern auf mich, da sie mich durch eine urzeitliche Welt führt, welche nur wenige Menschen zu Gesicht bekommen.
Gründe dafür das diese Region unserer Erde so wenig besucht wird gibt es sicher viele, unter anderen ist es wirklich schwierig, in dieser teilweise sehr schlammigen und unzugänglichen Bergwelt mit seinen vielen Tälern unterwegs zu sein. Das kriegsgebeutelte Nachbarland Kongo, wo erst jetzt vor 2 Tagen erneut 27 Mann ganz in meiner Nähe erschossen wurden, trägt sicherlich auch etliches dazu bei, dass es hier im Vergleich zu den anderen beiden großen Bergbrüdern sehr ruhig zugeht. Mich soll dies aber nicht stören, bin ich doch gern allein in den Bergen unterwegs und genieße die Stille und Abgeschiedenheit. Aus diesem Grund versuche ich bei der Organisation mein Team so klein wie möglich zu halten. Zum ersten Mal in der Geschichte des RTS, einer Organisation welche sich auf die Besteigung des höchsten Berges des Ruwenzori Massivs spezialisiert hat, wird eine Einzelperson mit nur einem erfahrenen Guide auf den Gipfel geschickt. Dies habe ich sicher Uziah meinem Guide zu verdanken, dem ich anhand von vielen Geschichten aus meinem bewegten Leben klar gemacht habe, dass wir das auch zu zweit schaffen werden. In 8 Tagen wollen wir wieder am Ausgangspunkt ankommen und beweisen, dass auch eine kleine Gruppe diesen mächtigen Berg bezwingen kann.
In den ersten Tagen durchlaufen Uziah, ich und ein paar Träger, welche Proviant für die nächsten Tage transportieren von einer Vegetationszone in die nächste, passieren Regen-, Bambus- und immer feuchten Hochgebirgswald. Hier ziehen am Nachmittag die Nebelschleier in die Täler und bilden mit all den Flechten und Moosen an den uralten Bäumen eine Fabelwelt, in welcher man sich leicht Trolle und Feen vorstellen kann. Wir übernachten in gut ausgebauten Camps und genießen die ersten Tage ein traumhaftes Wetter. Leider passieren wir zwischen 3.000 ‐ 4.000 m auch einen ganzen Tag eine Region, welche uns wie tot erscheint, da ein riesiger Waldbrand innerhalb einer Woche all das vernichtet hat, wozu die Natur unzählige Jahre gebraucht hat. Nicht nur mir blutet das Herz beim Anblick dieser Zerstörung, auch Uziah erzählt mit trauriger Stimme vom verzweifelten Versuch der Einheimischen das Inferno zu stoppen. Und dennoch obwohl alles so leblos scheint sucht sich das Leben erneut seinen Weg und in den letzten beiden Jahren sind schon die ersten Vorboten einer einmaligen Gebirgsvegetation zurückgekehrt. Vielleicht geht alles schneller als man denkt und der Ruwenzori heilt sich selbst so wie er es in seiner langen Geschichte sicher schon oft getan hat. Einmal über den 4.450 m hohen Bamwanjara Pass, den wir noch einmal auf unserem Rückweg überschreiten müssen, gestiegen, erstrahlt diese typische Hochgebirgsvegetation von neuem. Denn hier hat der Brand keinen Schaden angerichtet und wir sehen riesige Lobelien und uralte Senecio Bäume, welche sich mit ihren eigenen Blättern vor dem eisigen Wind schützen und bis in eine Höhe von 4.600m zu finden sind. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es in dieser grotesk anmutenden Welt noch Tiere gibt und doch entdecken wir im satten Grün einige Red Formest Duiker eine Zwergantilopenart oder das türkisfarbene Männchen des Lobelien Nektarvogels. Es geht vorbei an malerischen Gebirgsseen umrahmt von einer schroffen Bergwelt, die jedes Bergsteigerherz höher schlagen lässt. Aller paar Schritte werde ich von neuen einmaligen Naturschauplätzen überwältigt und schon der Anmarsch an mein eigentliches Ziel entschädigt für jede Strapaze.
Erst am 5. Tag kurz bevor wir das Margherita Camp, das eigentliche Basislager erreicht haben, entdecke ich die vergletscherten Hänge des höchsten Gipfels der Mondberge. Auf 4.490 m beziehen wir in einer Hütte Quartier und wollen von hier am nächsten Morgen um 4.00 Uhr in Richtung Margherita Gipfel aufsteigen. In dieser Nacht mache ich kaum ein Auge zu, zu viele Gedanken schießen mir durch den Kopf. Immer wieder gehe ich aus der Hütte und betrachte den Vollmond, welcher alles in sein silbriges Licht taucht. Doch ich sehe auch die ersten Wolken aus den mit Regenwald bedeckten Ebenen des Kongo nach oben steigen. Wie eine weiße Fahne schmiegen sie sich an die drei höchsten Berge des Ruwenzori Massivs und verheißen nichts Gutes. Um 3.00 Uhr klingelt mein Wecker, den ich gar nicht hätte stellen müssen, da ich ohnehin in den Startlöchern saß und es gar nicht abwarten konnte, diesen letzten großen Berg in Angriff zu nehmen. Ich ziehe mich warm an, denn draußen, das merkte ich schon die ganze Nacht am Wackeln der Hütte, bläst ein starker Wind, der in Richtung Gipfel sicher noch zunimmt. Während ich mir den morgendlichen Haferschleim hinunter zwinge denke ich an meine Familie und hoffe nur, dass so kurz vor meinem großen Ziel nichts passiert. Wir sind nur zu zweit und ich hoffe es war die richtige Entscheidung, in dieser kleinen Seilschaft an die größten Gletscher Afrikas zu gehen. Jetzt heißt es Zähne zeigen und sich durchbeißen. Meine extrem gute Fitness sowie die Kombination aus erstklassiger Akklimatisation und meinem erfahrenen Seilpartner Uziah trägt dazu bei das wir nach gerade mal 3 Stunden auf dem Gipfelgrat ankommen. Die meisten Bergsteiger brauchen 6 - 7 Stunden, nutzen aber auch all die Fixseile, welche wir, ignorant wie wir waren, umsteigen. Auch der extrem steile Margherita Gletscher und so manch brenzlige Überquerung der Gletscherspalten konnten unseren Durchmarsch nicht bremsen. Mit so einer Zeit hätte wohl keiner von uns gerechnet, aber wir waren einfach ein super Team und werden jetzt um 7.00 Uhr mit aufgehender Sonne für all unsere Schinderei entlohnt.
Der Wind bläst mir förmlich den Bart aus dem Gesicht und bei gefühlten - 20 Grad Celsius stehen wir nicht nur auf 5.109 m Höhe, sondern wir stehen auch auf der höchsten Erhebung des Ruwenzori Gebirges. Ich habe somit mein großes Ziel erreicht und alle großen 5.000er Afrikas bestiegen. Die aufziehenden Wolkenwände, welche in einem Affenzahn unter und neben uns vorbei schießen und immer wieder aufreissen, um somit einen Blick auf die um uns liegenden Felsformationen zu ermöglichen, verleihen dieser Besteigung einen magischen Touch. In den ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages bin ich so ergriffen, dass mir für kurze Zeit die Worte fehlen. Ich ringe mit den Tränen und bin einfach nur zu tiefst ergriffen von so viel natürlicher, unbezahlbarer Schönheit. Mit wie wenig kann doch ein Mensch zufrieden sein. Er soll sich verausgaben und dann zu einem solchen Zeitpunkt auf so einem Berg stehen, dann wird er für kurze Zeit einer der glücklichsten Menschen der Welt sein !!!
Nach 15 kalten, aber ergreifenden Minuten auf dem Gipfel, beginnen wir den Abstieg und während wir über die letzten großen Gletscher am Äquator schreiten, zeigt mir Uziah wie weit selbst diese in den vergangenen Jahren geschrumpft sind. Der große Stanley Gletscher verlor in den letzten 6 Monaten 3 Meter an Breite, was unzählige Kubikmeter an Eisfläche ausmacht. Wenn ich diesen Gedanken weiterspinne frage ich mich was aus dem Blauen Nil wird, wenn diese Wasser spendenden Gletscher verschwunden sind? Was wird aus dieser märchenhaften, aber auch zerbrechlichen Pflanzen - und eng mit ihr verbundenen Tierwelt? Die Globale Klimaerwärmung wird nicht mehr aufzuhalten sein, aber ganz tief in mir drin bin ich sicher, dass sich die Natur irgendwann erholen wird, auch wenn dies viele tausend Jahre dauert, so wird sie uns Menschen am Ende doch überleben!
Der Rückweg ist schwer, nicht nur weil ich diese mir lieb gewonnene Zauberwelt wieder verlassen muss, noch dazu kommt, dass ich die schwere Wanderstrecke in 3 anstatt 5 Tagen zurück legen werde. Wir wählen somit eine andere Abstiegsroute, die es erneut in sich hat, aber das ist halt so und nicht ohne Grund gilt die Besteigung des Margherita Gipfels als echte Herausforderung. Gerade deshalb schätzt man dann das Erreichte umso mehr, weil es so hart erkämpft werden musste. Eines ist aber sicher, niemand wird dieses Gebirge wieder verlassen und etwas bereuen! Das gesamte, nun am Ende des Trecks ziemlich erschöpfte, Team und ich werden sogar noch mit einer besonderen Begegnung belohnt. Kurz bevor wir den Nationalpark wieder verlassen treffen wir auf zwei der wohl skurrilsten Bergbewohner die man sich vorstellen kann. Ein Chamäleon ist mit seiner wandelbaren Hautfarbe schon skurril genug, aber eines mit drei Hörnern (Trioceros jacksonii) und eines mit einem Horn wie ein Nashorn (strange-nosed-chameleon / Kinyongia xenorhina) ist in einem Terrarium nett anzuschauen, sie aber hier in freier Wildbahn anzutreffen ist wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.
Was mich im Augenblick etwas grämt ist, dass ich die Fülle an erlebten Geschichten und durchstandenen Abenteuern, welche ich gern mit allen Interessierten teilen möchte, noch etwas für mich behalten muss. Ich kann anhand dieser Berichte leider nur einen Bruchteil von dem weitergeben, was ich erfahren durfte. Dank meiner guten Kameras konnte ich einzigartige Plätze dokumentieren und manche Bilder sprechen nun einmal mehr als tausend Worte!
Ich habe nun die drei höchsten Berge Afrikas bestiegen und stand auf allen 5.000ern des Schwarzen Kontinents. Da ich aber noch etwas Zeit habe, möchte ich mir einen letzten großen Traum erfüllen, um den mich viele Menschen sicher beneiden werden. Nur wenige 100 Kilometer südlich von meinem derzeitigen Aufenthaltsort befindet sich der Bwindi Nationalpark und in ihm leben ein paar der letzten großen Bergland Gorillas unserer Erde. Von einst vielen gibt es heute leider nur noch 800, aber die Zahl ist steigend. Ich möchte diese stattlichen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung aufsuchen und einmal in meinem Leben dem Primaten begegnen, der dem Menschen am ähnlichsten ist. Einmal in meinem Leben möchte ich Aug in Aug einem 200 kg schweren Silberrücken gegenüber stehen und dieses wilde und doch so sanftmütige Wesen spüren. Es ist kaum zu glauben das Wilderer diese Art fast ausgerottet haben und ich bin froh darüber, dass durch viel Engagement und große Schutzgebiete der Fortbestand dieser unvergleichlichen Tierart gesichert werden konnte.
Euer Gil