BIKE Afrika 2013 / 2014
2. Expeditionsbericht: Der Mount Kenia - Das Juwel des schwarzen Kontinents
Am 14.12.2013, einen Tag später als geplant, breche ich mit meinem Rad sowie Hänger Richtung Kenia auf. Diese Verspätung habe ich einer ordentlichen Nahrungsmittelvergiftung zu verdanken. Ein verdorbenes Hühnchen fordert am Ende meinen Körper mehr als die Besteigung des höchsten Berges Afrikas. Dies merke ich auch noch während der ersten Tage in denen ich auf meinem Rad den Fuß des Kilimandscharo umrunde, um auf kleinen Straßen Richtung Kenia zu fahren. Es geht immer bergauf und bergab, durch schöne grüne Landschaften, welche sich an die Hänge dieses monströsen Vulkans schmiegen. Leider kann ich ihn, dank der riesigen Wolkenwand, welche diesen Berg wie ein verwunschenes Land einhüllt, niemals in seiner stattlichen Größe bewundern. Selbst nachdem ich bei Loitoktok einem kleinen Grenzübergang von Tansania nach Kenia ausreise und 100 km auf einer kleinen idyllischen Straße ins Flachland ausrolle, kann ich nur die schwarzen Gewitterwolken sehen, welche den Kilimandscharo bedrohlich umschließen. Dafür sehe ich Zebras und in einiger Distanz Büffel, welche sich am ersten saftigen Gras nach langer Trockenzeit genüsslich satt fressen. So hat das lang erwartete Regenwetter zwar meine Besteigung auf den Kilimandscharo zur echten Herausforderung werden lassen, jedoch sehe ich dafür die jetzt so typische, ausgetrocknete Savannenlandschaft in einem frischen Grün zu neuem Leben erwachen. Leider ist diese Stille, welche ich momentan genieße nur von kurzer Dauer, da ich nach ca. 300 km auf dem Rad auf die einzige Straße in Richtung Nairobi auffahren muss. Ich sehe schon von weitem in welchen Verkehr ich gleich hinein fahren werde.
Dieser Highway, von den Chinesen wie so viele andere Straßen Afrikas neu gebaut, ist die Verbindungsstraße zur zweitgrößten Stadt des Landes - Mombasa. Da sich in Mombasa der größte Fährhafen Afrikas befindet ist es nur verständlich, dass alle Waren, welche ins Landesinnere dieses Kontinents transportiert werden müssen, sich hupend in nicht enden wollenden LKW Kolonnen an mir vorbei drängeln. Ich bin schon sehr gefährliche Straßen auf der Welt gefahren, dazu zählen auch jene, welche durch Indien führen, doch selbst diese verlieren im Vergleich zu derjenigen, auf welcher ich gerade um mein Daseinsrecht kämpfe, jegliche Bedeutung. Zum Glück gibt es eine Art Randstreifen auf den ich freiwillig ausweiche, um am Leben zu bleiben. So fahre ich notgedrungen zwei Tage, im Dieselgestank dieser Blechkolonne, bis nach Nairobi der Hauptstadt Kenias mit. Hier überhole ich in kilometerlangen Staus all Jene, welche in rasenden Geschwindigkeiten an mir vorbei gefahren sind und mich mehrere Male fast überfahren haben. Noch während ich in dem Abgasmief den Hochhäusern dieser modernen Riesenmetropole entgegen rolle, beschließe ich aus sicherlich verständlichen Gründen die Weiterfahrt nach Uganda im Bus zu erleben. Wenn die Straßen es erneut zulassen, dass auch Radfahrer ein Anrecht darauf erhalten unterwegs sein zu dürfen, werde auch ich mich wieder in den Sattel schwingen und meinem letzten Berg in Uganda entgegen radeln. Doch bevor es soweit ist steht der wohl schwierigste Berg meines Projektes auf der Tagesordnung.
Alles was ich am Mount Kenia nicht benötige, lasse ich in einem kleinen Backpacker Hostel zurück. Nun ist es soweit und nach 450 km im Sattel schließe ich das Fahrrad ein, um erneut in die Bergschuhe zu steigen, mit dem festen Willen mich mit dem zweithöchsten Berg Afrikas zu messen. Am 20.12.2013 geht es mit meinem Bergführer Samy in öffentlichen Verkehrsmitteln nach Nanyuki, dem Ausgangspunkt für dieses sicher nicht ungefährliche Unternehmen. Während die meisten Kletterer, welche den Mount Kenia besteigen möchten, den gerade einmal 4.985 m hohen Lenana Gipfel im Visier haben, möchte ich schon den richtigen Hauptgipfel bezwingen. Dieser splittet sich in einen Zwillingsgipfel auf, welcher aus dem 5.199 m hohen Batian und dessen kleinerem Bruder, dem 5.188 m hohen Nelion besteht. Will man aber auf eine dieser beiden Felszinnen, muss man sich mit einer 600 m hohen Felswand auseinander setzen, welche es wirklich in sich hat.
Um eine bestmögliche Akklimatisation zu erreichen, möchte ich mir mehr Zeit als am technisch einfachen Kilimandscharo lassen. Geplant sind 8 Tage für Auf- und Abstieg mit einem Reservetag, falls das Wetter nicht mitspielt. Dies soll aber nicht passieren, denn schon vom ersten Tag an werden mein kleines Team und ich mit strahlendem Sonnenschein belohnt. John, mein Kletterpartner für den anstrengenden Teil, Samy der Guide, die beiden Träger Benn und Tschaus und ich steigen nun Tag für Tag durch eine traumhafte Landschaft. Dabei sind die gewählten Etappen zwischen 2 - 4 Stunden lang und überschreiten fast nie die 500 Höhenmeter an Unterschied, welche wir zwischen den einzelnen Schlafplätzen zurücklegen. Mit genügend Geduld und ausreichend Flüssigkeitszufuhr schaffe ich mir somit die beste körperliche Ausgangsposition, um den Hauptgipfel in Angriff zu nehmen.
Schon vom ersten Tag an sehe ich die zugeschneite Felszinne des Mount Kenia und Schritt für Schritt kommen wir ihr immer näher. Anders als am Kilimandscharo erlebe ich dank des guten Wetters eine einzigartige Fabelwelt um mich herum. Diese unberührte und zum Teil etwas grotesk anmutende Pflanzenwelt des Nationalparks begleitet uns auf Schritt und Tritt. Fotomotive gibt es zur Genüge und hinter jedem Hügel verbirgt sich ein noch atemberaubender Anblick auf die Bergkulisse mit seinen 4 m hohen, riesigen Lobelien im Vordergrund. Schon jetzt gefällt mir der Mount Kenia mehr als sein großer Konkurrent in Tansania, was zum einen sicher am Wetter liegen mag, aber auch am Gefühl hier freier unterwegs sein zu können. Während ich für das Wildpinkeln auf einem riesigen, verschlammten Zeltplatz am Kili fast eine Geldstrafe bezahlt hätte, können wir hier am Mount Kenia traumhafte Campmöglichkeiten in unseren Aufstieg einbeziehen und es kräht kein Hahn danach, ob ich mein Zelt etwas ab vom Schuss aufbaue.
Dies wäre höchstens anderweitig fast ein Problem geworden. Am abgelegenen und wenig genutzten Likki North Camp, welches etwa um die 4.000 m hoch liegt, werde ich durch einen derben Schlag gegen mein Zelt aus meinem wohlverdienten Schlaf geholt. Zunächst denke ich dies wäre ein Teil meiner Traumwelt gewesen, aus welcher ich soeben heraus gerissen wurde, doch gerade als ich mich wieder hinlegen will, röhrt es ziemlich laut direkt neben meinem Zelt. Ich habe das Geräusch die letzten Stunden schon öfter gehört und dachte es wäre irgendeiner vom Rest des Teams, der mit irgendetwas dieses Geräusch verursacht. Das scheint aber nicht der Fall, da die Anderen etwa 100 m von mir entfernt in einer kaputten Bretterbude bibbernd die Nacht verbringen. Die Murmeltier ähnlichen Tiere, die sogenannten Rock Hyrachs, welche es hier überall gibt und die so zutraulich sind, dass man fast darauf tritt, wenn man nicht Acht gibt, sind zu klein um so laut zu brüllen. Aber genau zu so einem Geräusch wird es, umso mehr ich es zu deuten versuche. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und schaue mit der Stirnlampe auf meinem Kopf aus dem Zelt. Da blicken mich zwei leuchtende Augen aus etwa 10 m Entfernung an und langsam bildet sich die Silhouette einer großen Katze aus der Schwärze der Nacht heraus. Nun muss ich abermals meinen ganzen Mut aufbringen, um den Rest des Teams zu warnen. Was bedeutet 100 m vom schützenden Zelt entfernt zur Holzbude zu gelangen, ohne zu wissen, was das da draußen Großes ist und was es mit mir machen wird, wenn es mich erwischt. Mit Puls 200 und das nicht wegen der Höhe setze ich die Idee in die Tat um und wecke aufgeregt John, der sofort sagt, dass dies ein Löwe sei und ich sofort zu ihnen in die Hütte kommen soll.
Nun ruhen wir Fünf extrem beengt und verbarrikadiert in diesem Bretterverschlag und hören den Löwen um das Camp schleichen. Was für eine Nacht. Gegen 4 Uhr ziehe ich die Gesellschaft des Löwen den grunzenden Schlafgeräuschen meiner Mitstreiter vor und gehe zurück in mein Zelt. Die Rufe der großen Raubkatze werden immer leiser, denn sie scheint das Tal langsam zu verlassen. Am nächsten Morgen ist zum Glück niemanden von uns etwas geschehen und Samy erzählt mir, dass er so etwas noch nie erlebt hat und selbst Berglöwen normalerweise nicht in solche Höhen vordringen. Was hatte ich da für ein Glück - Ha, Ha, Ha.
Dieser abenteuerliche Ausflug zum zweithöchsten Berg Afrikas findet seinen Höhepunkt in der Besteigung des eigentlichen Hauptgipfels. Den Point Lenana, welchen 95 % aller Bergtouristen in Angriff nehmen, haben wir auf unserem Weg zum Austrian Hut, dem Basislager, ohne Probleme als Akklimatisierungstour überschritten. Er ist mit 4.985 m der dritthöchste Gipfel des Massivs und stellt für viele schon eine riesige Aufgabe dar. Ich will aber noch höher hinauf. Zu Weihnachten will ich mir nun diesen Wunsch selbst erfüllen. Früh um 6 Uhr lege ich die Steigeisen an und stapfe mit John über den Lewis Gletscher, um auf der anderen Seite über ein langes Geröllfeld steil zum Fuße des Berges zu gelangen. Jetzt geht die Sonne auf und taucht die Umgebung in ein warmes Gelb. Ich blicke nach oben und sehe eine schier unüberwindbare Felswand in die wir nun gemeinsam mit Klettergurt, zwei Seilen, Klemmkeilen, Friends (Sicherungsgerät) und jeder mit einem 12 kg Rucksack einsteigen. Ich sehe im Augenblick keine klare Linie und habe das Gefühl das der angegebene Schwierigkeitsgrad von 4+ bei weitem für diese steile Passage unangemessen niedrig bewertet wurde. Dennoch kämpfen wir uns Stunde für Stunde, Zug um Zug dem ersten Grat entgegen. Hier angekommen, die Schultern schmerzen vom schweren Rucksack der mehr und mehr zur Belastung wird, nehmen wir uns neben einem alten kaputten Biwakkontainer eine erste verdiente Auszeit. Meine Lippen sind aufgeplatzt und trocken meine Muskeln schmerzen und meine Hände zittern vor Anstrengung und dennoch gibt es kein Umkehren. John sagt, dass wir etwas mehr als die Hälfte geschafft haben und noch ein paar knifflige Passagen vor uns liegen, eine davon direkt über uns. So sitze ich auf diesem messerscharfen Grat wo es rechts und links ein paar hundert Meter in die Tiefe geht. Ich blicke eine Felswand empor, die auf den ersten Blick unüberwindbar scheint und sage so zu mir: "Langsam wirst du echt zu alt für diese Scheiße.".
Noch dazu segeln Vögel an mir vorbei hinunter ins Tal über den Gletscher zum Austrian Hut, von wo wir ja herkommen. Wie gerne wäre man jetzt ein Vogel, aber da reiße ich mich selber aus diesem Tagtraum, Arschbacken zusammen kneifen und weiter geht es. Hier hilft man sich nur selbst und kurz darauf hängen wir wieder in der Wand. An einer sehr schwierigen Stelle von 6+ klettert John ohne Rucksack vor und zieht diesen dann nach. Nur ich muss mit all meinem Können und der letzten Kraft, mit schwerer Last auf dem Rücken, irgendwie da hoch. Die Lunge pumpt da es über 5.000 m hoch ist und so wird diese Besteigung zur richtigen Leistung. Gegenseitig machen wir uns immer wieder Mut und dann gegen 13 Uhr, nach 6 Stunden Felsklettern und 20 Seillängen, haben wir die Wand durchstiegen und erreichen den Gipfel des Nelion auf 5.188 m Höhe. Das schönste Weihnachtsgeschenk, welches man sich wünschen kann. "Wir stehen ganz oben", es geht zwar über das Tor des Nebels auf der anderen Seite noch einmal 11 m höher, wir entscheiden jedoch als Team, den Batian nicht in Angriff zu nehmen, da sich auf der Nordseite, welche wir dann leicht absteigen müssten, zuviel Schnee befindet und mehr als 2 Seile nötig wären, um den Abstieg so zu sichern, dass keinem etwas geschieht. So verbringen wir unbezahlbare Stunden mit einem traumhaftem Sonnenunter- und -aufgang auf dem zweithöchsten Berg Afrikas. Ich besteige somit nicht nur einen meiner persönlich schwierigsten Gipfel, sondern rücke dem großen Ziel, die drei höchsten Berge des Schwarzen Kontinents zu erklimmen, ein großes Stück näher.
Gerade heute zu Weihnachten vermisse ich meine Familie sehr und ich wünschte sie wären jetzt hier und könnten sehen was ich sehe!
Nach einer schnellen Nacht in der höchsten Biwakhütte Afrikas starten wir das abenteuerliche Abseilen, die 600 m Wand hinunter in die schier bodenlose Tiefe. Obwohl ich wirklich schwindelfrei bin, gefriert auch mir manchmal das Blut in den Adern, wenn ich an unserem 70 m Seil die Wand hinunter gleite, nachdem ich mit viel Vertrauen zu Können und Material über eine Felskante hinauspendle. Auch das Abseilen kostet Kraft und höchste Konzentration, gerade wenn man zu zweit auf einer abschüssigen 50 cm2 Fläche steht und das Seil in die nächste Abseilöse einfädeln muss. Das geht nur wenn jeder Handgriff sitzt und das Team harmoniert und das ist der Fall, denn wir kommen nach 2 1/2 h sicher am Fuße der Wand an und klatschen in die Hände. Jetzt verrät mir auch John, dass es gerade einmal 100 Kletterer im Jahr versuchen und davon schaffen es nur 40 % den Gipfel zu erklimmen und wir gehören jetzt dazu. Was für ein Abenteuer!
Der Rückweg vom Berg zurück in die Zivilisation ist von unzähligen märchenhaften Landschaften gespickt und ich genieße jede Minute, denn viel zu schnell sitze ich schon wieder im Internetcafe in Nairobi, um diese Zeilen zu schreiben. Aber egal wie lange es her ist, dass ich auf dem zweithöchsten Berg Afrikas stand, das Erlebte werde ich nie vergessen. Diese unbezahlbaren Eindrücke werde ich nicht nur mitnehmen auf meinen Weiterweg an den Ruwenzori nach Uganda, sondern diese Erlebnisse begleiten mich nun den Rest meines Lebens!
Euer Gil
Afrika, 28.12.2013