Neuguinea 2005 "Ausgesetzt"

Expeditionsbericht

Ganze 10 Tage sind vergangen, bis wir endlich wieder im Baliemhochtal, in Wamena, angekommen sind. Nun liegt der weite Rückweg hinter uns und wir hoffen, hier auch wieder auf Jonas und unser gesamtes Trägerteam zu treffen. Wenig später kommt Jonas dann auch schon auf uns zu und wir erfahren, dass unser gesamtes Team weitere 8 Tage, also insgesamt einen halben Monat, auf den Rückflug von Ilaga nach Wamena warten musste.

Da uns die Zeit im Nacken sitzt, beginnen wir sofort mit der Planung und Organisation unserer Tieflandexpedition in eines der letzten noch unerforschten Gebiete der Welt, in die Mamberamo–Flußregion. Wir schauen auf unsere Karte und es ist nichts zu sehen, außer weisen Flecken. Hier soll es wirklich noch Kannibalismus und Kopfjägerei geben.

Bereits nach zwei Tagen steht unser Plan und die Träger sind ausgewählt. Wir wollen also versuchen, über Land und größtenteils zu Fuß von Wamena nach Jayapura zu gelangen. Die Indonesische Regierung startete 1989 ein Straßenbauprojekt von Wamena nach Jayapura. Das Projekt des legendären Trans Irian Highway verschlang viele Milliarden dafür, dass nur einmal in der gesamten Geschichte dieser Straße, im Jahr 1998, drei 4 x 4 Jeeps in einer Expedition nach Wamena durchgekommen sind. Seit dieser Zeit ist die Straße leider erneut bis zur absoluten Unkenntlichkeit verfallen und der endlose Dschungel hat sich seinen Lebensraum zurückgeholt.

Mit ca. 150 Kilogramm Gepäck, 6 Trägern sowie unserem Guide Jonas starten wir abermals mit unserem Monster-Jeep von Wamena aus. Ein letztes Mal schweifen unsere Blicke über das malerische Baliemtal, bevor wir nach Norden in das Passvalley abbiegen. Wir bewegen uns auf dem Trans Irian Highway, auf einem kurzen Teilstück, welches auch heute noch einigermaßen befahrbar ist. Dichte Wolken verhindern den Weitblick in die dick vermoosten Hochgebirgsregenwälder. Das Tor zum Flachland liegt hier vor uns und von nun an folgt die Straße mit haarsträubenden Abschnitten den endlosen Talfalten stetig bergab. Es wird immer wärmer, bis wir endlich nach 11 Stunden Fahrt Elelim, ein kleines Dörfchen im Flachland, den Ausgangspunkt für unseren nun beginnenden Fußmarsch erreicht haben.

Von hier aus starten wir in Richtung Jayapura. Die Stadt liegt mehr als einen halben Monat Fußmarsch von uns entfernt. Unsere Träger sind schon richtig aufgeregt, denn hier haben auch sie eine Abwechslung zu ihrer sonstigen Speisekarte. Wir sind keine Stunde unterwegs und schon verschwinden mehrere große, fette Spinnen am Wegesrand und wir hören es hinter uns nur noch schmatzen. Die Straße ist verschwunden und in nur sieben Jahren sind hier 20 m hohe Bäume gewachsen. Übrig geblieben ist nur ein kleiner Pfad im Unterholz von etwa 20 cm Breite. Unglaublich. Unzählige alte Baumaschinen rosten inmitten des Regenwaldes, am Wegesrand, einfach vor sich hin. Immer häufiger kommen nun die vier Macheten zum Einsatz, um uns den Weg frei zuschlagen.

Dutzende kleine und große, verrottete Holzbrücken müssen wir immer wieder überqueren. Und schon passiert es. Peer läuft über eine dieser Brücken und bricht auf einmal durch. Er stürzt mit samt seinem Gepäck mindestens 4 Meter in die Tiefe. Er hatte riesiges Glück, dass er neben den großen Felsen gelandet ist, welche unten im Flußbett lagen. Mit Peer`s schweren Stauchungen und Prellungen denken wir zuerst kurz über einen Abbruch nach, aber entscheiden uns dann, zum langsamen Weiterlaufen bis es ihm wieder besser geht.

Umso weiter wir vorankommen, um so mehr wird der hellichte Tag zum Grauen. Früh um 6 Uhr beginnt das Schauspiel. Tausende, wenn nicht sogar hunderttausende Bienen und Fliegen fallen über uns her und begehren den salzigen Schweiß auf der Haut. Unzählige Stiche von Bienen erinnern uns noch in der erholsamen Nacht an den vergangenen Tag. Selbst unsere Träger drehen fast durch und nehmen so oft wie nur möglich ein erfrischendes Bad im Fluss.

Mitten am Weg kommen dann sogar noch zwei Einheimische von hinten zu unserer Gruppe aufgelaufen. Sie wollen die Gelegenheit nutzen, in einem größeren Trupp mit uns gemeinsam, die breiten, gefährlichen Flüsse ins Mamberamogebiet zu überqueren. Beide Papuas kommen aus Elelim, dem Dorf von welchem aus wir gestartet sind. Einer der Beiden ist der protestantische Priester aus Elelim, er hatte Angst uns allein gehen zu lassen, denn er weiß wie gefährlich dieses Gebiet ist, so erzählt uns Jonas.Also sind wir nun insgesamt 12 Leute stark. Die vor uns liegenden Flüsse werden immer größer und merklich schwieriger zu überqueren. In den letzten Nächten hatte es immer wieder geregnet und der Wasserspiegel ist dabei stark angestiegen. Hier gibt es Flüsse, welche innerhalb nur eines Tages, bis zu 10 Metern Höhe im Wasserstand steigen können. Nach dem Abstieg in eine tiefe Talfalte erreichen wir den nächsten reißenden Fluss.

Alle überlegen wir, wie es uns gelingen könnte auf die andere Seite zu gelangen. Es gibt keine Brücken, weit und breit gibt es gar nichts. Würden wir hier versuchen den Fluss schwimmend zu überqueren, dann könnte man vielleicht sein Leben verlieren, so unberechenbar die Strömung ist. Uns bleibt also nur eine Möglichkeit. Zwei unserer Träger machen sich an die Arbeit, einen 50 m hohen und 70 cm starken Akazienbaum zu fällen, um über diesen auf die andere Seite zu gelangen. Das Holz ist weich und schon nach 20 Minuten kracht der riesige Baum in die Tiefe und donnert auf die gegenüberliegenden Felsen. Wir trauen unseren Augen nicht, aber der Baum wird vom reißenden Fluss wie ein kleines Streichholz einfach weggerissen. Nun haben wir ein Problem, denn nur noch ein größerer Baum steht hier, an den steilen Felsenflanken des tobenden Flusses. Sofort machen sich alle gemeinsam an die Arbeit, den 1 m dicken Baum zu fällen. Und wir haben riesiges Glück, denn der Baum wird nicht zerschmettert und bleibt liegen. Schritt für Schritt balancieren alle auf die gegenüberliegende Seite. Den ersten großen Fluss haben wir somit gemeistert, doch noch mächtigere Flüsse warten auf uns. Weiter kämpfen wir uns im Unterholz voran und auch unsere beiden neuen Begleiter helfen kräftig mit, den Weg frei zuschlagen.

“Ular” ist das indonesische Wort für Schlange und genau dieses Wort hören wir von der anderen Uferseite zu uns herüber hallen. Schnell stellt sich heraus, dass der Priester mit seinem Hund auf eine 4 m lange Riesenschlange gestoßen ist. Wir haben für die gesamte Gruppe nur noch 9 Kilogramm Reis und diese 20 Kilogramm schwere Nahrungsabwechslung löst in unseren Trägern eine unglaubliche Freude aus. An einen Ast gebunden tragen wir die Schlange zu dritt bis ins nächste Lager. Welches wir extra für diesen Anlass vorverlegen, da sich das Gewicht der Schlange in dem extrem schwer zugänglichen Gelände und unter der Hitze der gleißenden Sonne schnell verdoppelt. Am Abend gibt es also Reis und diese besondere, nach Hase schmeckende, Delikatesse des Regenwaldes.

Gestärkt für den Weiterweg geht es erneut mit unseren ständigen Begleitern, den Bienen, tiefer und tiefer in das Randgebirge des Mamberamo Beckens. Wir kommen nur sehr langsam voran, da bis zu drei Man ständig mit den Macheten den zugewachsenen Pfad freischlagen müssen. Seit Monaten ist kein Einheimischer hier gewesen und Weise hat diese Gegend noch nie gesehen. Von einer Straße oder gar einem Highway gibt es hier mittlerweile gar keine Spur mehr, nur die zugewachsenen Kilometersteine erinnern noch daran.

Am Tag laufen wir von früh 7.00 Uhr bis zum Nachmittag, um 16.00 Uhr, nie mehr als 5 km Strecke, dies sind 2 km Luftlinie mit dem GPS gemessen. Und dennoch kämpfen wir uns jeden Tag ein Stück weiter voran, bis zum gefürchteten Kilometerstein “197”, wo wir den größten und unberechenbarsten Fluss, den Yahuli, überqueren müssen. Hier befindet sich ein altes, verfallenes, aber noch bewohnbares Camp. Dieses einzige verbliebene Geisterhaus diente einst den Erbauern der Straße. Doch an dieser Stelle des Highways mußten sie alle kapitulieren, denn eine Brücke über den Yahuli wurde aus Geldgründen nie gebaut. Eine seltsame Atmosphäre legt sich über die Expedition, da wir wissen, dass schon 13 Menschen in den reißenden Fluten ertrunken sind. Es gab einmal eine einheimische Hängebrücke, doch diese wurde zerstört, um andere Stämme aus dem Tiefland vom Bergland fern zu halten. Am Abend vom 04.06.2005 zum 05.06.2005 sitzen wir in der verfallenen Hütte mitten im Regenwald und die Gruppe stimmt Gesänge und Gebete an. Der Priester, welcher extra zu unserer Sicherheit nachgekommen ist, betet viele Male für die sichere Überquerung des tödlichen Flusses. Der Morgen graut und wir haben in dieser Nacht voller Aufregung kaum ein Auge geschlossen, doch nun ist es soweit, wir werden es wagen.

Weit unter uns fließt der heimtückische Yahuli im undurchdringlichen Regenwald eingebettet. Den Weg zum Fluss haben wir bereits am Vortag freigeschlagen, so dass wir zügig vorankommen.Von einer Sandbank aus betrachten wir skeptisch das wilde, ungezähmte Wasser des Flusses und machen uns abermals Gedanken zur Überquerung. Wir überlegen eine Brücke zu bauen, denn zu schwimmen scheint unmöglich. Ein altes Stahlseil, welches wir in harter Arbeit aus einem Wirrwarr von Holz und Steinen befreien, soll auf die andere Seite gespannt werden. Und in einem alten Faß, welches als Transportkorb am Seil befestigt werden soll, wollen wir dann den Yahuli bezwingen. In der Theorie ist alles gut durchdacht, doch muss in der Praxis eine Person auf die andere Seite schwimmen, um das Stahlseil an einem Baum zu befestigen. Die meisten der Gruppe sind in diesem Moment mit kleinen Vorbereitungsarbeiten beschäftigt, so dass keiner dem Priester große Aufmerksamkeit widmet. Selbst unsere gutgemeinten Ratschläge, einen luftgefüllten und wasserdichten Packsack als Schwimmhilfe zu benutzen, schlägt er in den Wind. Eigens gestützt auf seine enormen Erfahrungen stürzt er sich in einem Augenblick der Unachtsamkeit in die tödlichen Fluten und allen bleibt der Atem stocken. Blitzschnell versammelt sich die gesamte Expeditionsgruppe am Ufer des Yahuli und bangt um das Leben des Priesters. Alle fiebern mit, ob er es wohl schafft, den Kampf gegen diese extreme Strömung zu gewinnen und das sichere Ufer auf der anderen Seite zu erreichen. Minuten werden zur Ewigkeit und mit jedem Versuch ein paar Zentimeter weiter den Yahuli zu überqueren schwinden seine Kräfte.

Er schafft es nicht !!!

Jetzt geht alles recht schnell und diese Augenblicke werden nicht nur die Expedition, sondern auch unser weiteres Leben verändern. Alle rennen wir am Ufer entlang und versuchen den Priester, der nun wie ein Stück Holz durch die starken Stromschnellen schießt, nicht aus den Augen zu verlieren. Doch der dichte Regenwald bremst unseren Weg und das Wasser ist schneller als wir. So dass dies die letzten Sekunden Blickkontakt sind, bevor er in der nächsten Biegung für immer verschwindet. Stille und Entsetzen legt sich über alle und sofort wird ein Suchteam zusammengestellt, welches jedoch nach vielen Stunden erfolgloser Suche eine erschreckende Nachricht zurück ins Lager bringt.

Der Priester ist zu 99 % das 14. Opfer dieses tödlichen Flusses Yahuli, an dem unsere Expedition ein grausames und trauriges Ende findet. Für alle ist sofort klar, wir laufen zurück, aber die Gefahren sind noch nicht vorbei. Nach Papuabrauch muss nun die Familie im Heimatdorf des Vermißten, in Elelim, verständigt werden. Man wird uns für den Tod des leichtsinnigen Mannes verantwortlich machen. Um dies zu umgehen wollen wir erst zurück nach Wamena, um dort die Polizei zu verständigen, die anhand der Zeugen und unseres Filmmaterials die Wahrheit an die Familie weitergeben soll. Unsere Träger fürchten um unsere und ihre eigene Sicherheit, denn schnell sind Blutfeten hier in Papua ausgelöst. In ganzen 4 Tagen schaffen wir es zurück zur Straße und mit dem nächsten Jeep zurück nach Wamena. Wahrscheinlich war es die Angst vor dem eigenen Tod und der wutentflammten Rache der Familie, welche uns bis zu 40 Km am Tag laufen lies.

In Wamena berichten wir alles der Polizei, die uns unterstützt und uns auch Glauben schenkt, dass wir nichts mit dem Tod des Priesters zu tun haben. Nur selber machen wir uns viele Vorwürfe. Hätten wir nur besser acht gegeben und auf ein Tragen der Schwimmhilfe bestanden. Die letzten Tage unserer Expedition sind herangerückt und wir müssen Papua nach fast 2 Monaten im Regenwald verlassen. Noch nie zuvor war eine unserer Expeditionen so gefährlich und geprägt von Höhen und Tiefen. Am 30.06.2005 fliegen wir zurück in die Heimat, mit einem Sack voller Geschichten, aber auch traurigen Erinnerungen an den sinnlosen Tod eines Mannes.

Gil & Peer

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